Liebes Tagebuch,
Die Weihnachtszeit hat begonnen und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Die Schule brummt nur so vor Stimmung, die Schüler bemühen sich nun umso mehr um einen guten Eindruck, um beim großen Weihnachtsfest auch ein gutes Geschenk zu ergattern. Viele engagieren sich sogar in außerplan Aktivitäten, viele Backen in der Mensa, die anderen kümmern sich um das Anschaffen der Tannenbäume, andere helfen beim Schmücken und unsere Eisbändiger geben der Schule noch den extra Winterglanz. Sicher, hier oben schneit es IMMER, doch in den Hallen herrscht dank dieser kleinen Magier ein eisiger Glanz.
Ich selbst bin körperlich unterwegs und führe Schüler in die Wälder, um die Tannen zu haken. Einige nutzen dafür natürlich ihre Fertigkeiten, doch manch einer hat einfach die Fähigkeit, körperlich stärker zu sein als der reguläre Mensch. Meine Magie nützt wenig – ich kann damit nur Menschen aufschneiden. Für meine Wohnung habe ich heute ebenfalls einen Baum geholt, den Kaya bereits fleißig geschmückt hat. Nun ist alles voller Tannen. Gar kein Bock.
Was mich zeitig stört, ist die Musik. Die Gruppen an der Schule, die eigene Musik machen, spielen nur noch Weihnachtslieder, der Chor ebenso, egal welchen Raum ich betrete, ich höre „Last Christmas“ von „Wham!“ und selbst nach den anstrengenden Einheiten mit den hyperaktiven Schülern, dröhnt mir aus meiner Wohnung Mariah Carey entgegen. Alle drehen vollkommen durch. WIRKLICH.
Doch eine gute Sache hat diese Zeit noch. Der zweite Advent steht an und nun beginnt auch endlich das Wochenende. Endlich ein wenig Ruhe von meinen nutzlosen Schülern, Zeit mit Kaya. Sie hat bereits einige Weihnachtsfilme rausgesucht, abends finde ich sie auf der Couch in eine Decke gekuschelt, eine heiße Schokolade neben sich, ein Buch in der Hand. Morgen möchte sie außerdem unbedingt mit mir Plätzchen backen. Ich hasse backen. Aber ich ertrag das schon noch, denn ich habe meine eigenen Pläne. Meine eigenen Pläne haben auch so einige Karat drauf. Ob sie wohl zusagt?
Denn ich habe so viele Träume, seitdem ich mit ihr zusammen bin. Unser Band ist so tiefgreifend geworden, dass ich mich endlich getraut habe, ihr mein Buch zu geben, in dem das Grauen meiner Magie genau beschrieben wird. Sie liest es genauso intensiv wie ihre anderen Bücher und hat sich bis jetzt nicht urteilend mir gegenüber geäußert. Sicher, einige Fragen hat sie bereits gestellt, doch niemals wertende. Vermutlich würde sie nie fragen, wem ich damit bereits Schaden zugefügt habe, ein Geheimnis, das am besten niemand anrühren sollte. NIEMAND (Dieses Jahr haben jedoch bestimmt schon einige Hundert mit den Schmerzen zu kämpfen gehabt).
Das Backen werde ich morgen durchhalten, den Film am Abend auch. Am Sonntag werde ich ihr ein wundervolles Essen kochen und sie dann dabei fragen. Das hat natürlich noch nie jemand gemacht, nein. Vielleicht frage ich sie auch auf einem Spaziergang, nicht, dass das nicht weniger beliebt wäre, um die Frage zu äußern. Nein. Wurde auch noch nie in Filmen thematisiert. Doch mal schauen, wann ich mich dazu bereit fühle und wann der passende Moment kommt. Ich will nicht auf den romantischsten Augenblick warten, denn bestimmt verpassen wir den eh. Am Ende des Wochenendes will ich einfach nur mit ihr verlobt sein.
Ich habe ja bereits von meinen Träumen gesprochen und meine Träume sind wirklich seltsam. Zum Beispiel waren Kaya und ich in einem meiner Träume Königin und König. Das lässt sich vielleicht auf meinen Wunsch zurückführen, diese Schule endlich zu übernehmen und König der Welt klingt gar nicht mal schlecht, doch wir waren das Königspaar eines unbestimmten Reiches in einem Zeitalter ohne richtige Heizung und WLan. Ich, der hier im Norden aufgewachsen ist und den Dauerschnee mit Heizungen gewöhnt bin, hatte daran keinerlei Freude.
Allerdings sticht aus dem Traum heraus, wie schön die Tänze waren. Es handelte sich um irgendeinen Ball für irgendetwas, die Musik war zwar nicht meine, doch die Stimmung und das Gefühl waren schöner, als ich beschreiben könnte. Warum ich überhaupt davon träume, zu klassischer Musik zu tanzen, ist eine gute Frage. Eine so gute, dass ich sie nicht einmal beantworten könnte. Kaya war besonders toll, denn in dem Kleid wirkte sie wunderschön. Sie ist zwar immer schön, doch das Kleid betonte ihre Schönheit und die Stimmung ließ alles stärker wirken. Vielleicht habe ich mich deshalb an den Teil des Traumes geklammert, denn ich kann nicht sagen, was ich noch geträumt habe.
Ein anderer Traum war seltsamer. Wir waren Katzen. Ich weiß nicht, warum wir Katzen waren. Aber wir waren Katzen. Katzen die schwimmen. Das klingt noch unnatürlicher, als dass wir überhaupt welche waren. Kaya war eine süße Katze, doch ehrlich gesagt kann ich Katzen nicht attraktiv nennen, das wäre noch beunruhigender als der Traum. Vielleicht empfand ich die Kaya-Katze als süß, weil ich wusste, dass sie Kaya war. Vielleicht war es aber auch ein „Guck mal, wie süß diese kleine Katze ist!“-süß. Genauer darüber nachdenken, muss ich aber nicht mehr.
Was ich dazu jedoch sagen kann, ist wahrscheinlich, dass ich mir Kaya in jeder Situation vorstellen könnte und sie überall wiederfinden würde. Das ich sie selbst als Katze noch erkennen und lieben konnte… all das zeigt mir selbst wie wichtig sie mir geworden ist. Also werde ich auch das Backen überstehen, den überaus kitschigen Film, die Weihnachtslieder, die uns dabei wohl begleiten werden.
Wünsch mir Glück, liebes Tagebuch!
JacobIch glaube, dass ich mit dem heutigen Tag den schönsten Tag meines Lebens haben werde. Warum? Weil ich schon um acht Uhr morgens die Stereo aufgedreht habe, damit die altbekannten Klassiker laufen, unter anderem „Jingle Bells“ und „Santa Tell Me“, weil ich danach meinen hässlichsten Weihnachtspullover angezogen und dann die Rezepte für die Plätzchen gewählt habe, die Jacob mit mir backen darf. Oder wie ich es aus seinen Augen ablese „mit mir backen MUSS“.
Ein erheitertes Lächeln lag auf meinen Lippen, während ich durch das Magazin blätterte. Meine heiße Schokolade stand neben mir und im Hintergrund dudelte „Last Christmas“. Aus der Schlafkuhle entnahm ich ein lautes Brummen, was mir signalisierte, dass der „Bad Boy“ der Schule aufgewacht war und gleich weinte, weil er diesen Tag nicht überleben konnte. Ich konnte wohl mit Glück sagen, dass ich die einzige Person auf dieser Welt war, die er mit seiner Magie nie angreifen würde und konnte. Dementsprechend gut konnte ich ihn ärgern. Laut seinem Buch würde ein anderer jedoch umkommen. Der Gedanke war zum einen beunruhigend, zum anderen… „egal“.
Ich hatte einige Rezepte ausgewählt, als Jacob endlich aus dem Bett rollte. Grummelig tappte er ins Bad und verschwand für eine ganze Weile, nur um frisch und frisiert heraus zu kommen. Kleidung folgte, doch der grummelige Ausdruck blieb. Mehr oder weniger lieblos gab er mir einen Kuss auf die Wange, brachte jedoch noch kein Wort zustande. Vermutlich wollte er nicht mit mir reden, denn er wusste, dass wir dann Backen würden. Mit funkelnden Augen beobachtete ich, wie mein Freund zur Kaffeemaschine schleifte, um sich einen Filterkaffee zu kochen. Bevor dieser jedoch fertig war, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten.
„Was hältst du von Vanillekipferl und Spritzgebäck? Vielleicht noch etwas Lebkuchen…“, fragte ich also mit unschuldigem Ton und blickte nachdenklich in das Heft. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Jacob erstarrte.
„Eh… wie bitte?“, fragte der junge Professor sichtlich nervös und stierte die Maschine so intensiv an, dass ich das Gefühl hatte, der intensive Blick würde ausreichen, um den Kaffee zu erhitzen.
„Vanillekipferl“, wiederholte ich sanft mit einem süffisanten Unterton. „Spitzgebäck. Lebkuchen? Wir wollten doch heute backen, weißt du nicht mehr?“
Jacob drehte sich langsam zu mir um, der nervöse Ausdruck noch immer auf seinem Gesicht. Sein Blick verfinsterte sich, als er meinen sah. Meine Hand schloss sich um meine heiße Schokolade und grinsend nippte ich an dieser, wobei ich spürte, dass Sahne auf meiner Nasenspitze kleben blieb. Die Kaffeemaschine dröhnte leise, während nun Mariah Carey all ihre Kraft in ihre Stimme legte.
„Natürlich habe ich das nicht vergessen“, antwortete er langsam und begann, gezwungen zu lächeln. „Lebkuchen klingen super.“
Einige Momente herrschte Schweigen, nur ein „Holy Night“ ertönte in der Wohnun. Die Unruhe stand Jacob ins Gesicht geschrieben, der beim erlösenden Ton seines Kaffees zügig zum Schrank über der Theke griff, um seine liebste Tasse zu holen und diese mit dem Kaffee zu füllen.
„Soll… ich noch etwas aus der Mensa holen? Teig… fertige Lebkuchen?“, fragte er in seinen Kaffee vertieft, suchte offensichtlich einen Weg aus dieser Situation.
„Das habe ich bereits erledigt. Außerdem machen wir jeden Teig selbst, also haben wir zwischendurch eine Pause!“
Zwar schien ihn das nicht sonderlich zu beruhigen, doch er nickte nur und nahm einen Schluck seines Kaffees, während er sich neben mich stellte und begann, das Rezept zu studieren.
Eine halbe Stunde später waren wir bereit. Jacob war nun wacher und da er eigentlich ein guter Koch war, das Backen nur wegen der starken Weihnachtsstimmung im Elsker nicht leiden konnte, grübelte er nun über den Teigen, die wir zubereitet hatten. Er hatte den Lebkuchen- und Vanillekipferlteig gemacht, während ich immer wieder am Spritzgebäck scheiterte. Ich vermutete, dass der Vanillekipferl ähnlich zu meinem war und ich mich einfach nur blöd anstellte. Jacob sagte das zwar nicht laut, aber an seinem Blick erkannte ich, dass ich mit der Annahme richtig lag.
Das restliche Backen ging ohne Schwierigkeiten voran. Nun ja, zumindest meistens. Einmal stieß Jacob gegen eine Weihnachtsdeko und ließ dabei beinahe das Blech fallen, worauf er wütend vor sich hin schrie, wie blöd Weihnachten sein kann. Beim anderen Mal rutschte ich beim Verzieren aus, woraufhin ich den Beutel flüssiger Schokolade über die Küchentheke verteilte. Während wir das Chaos beseitigten, konnte ich ihn vor sich hin grummeln hören, irgendetwas von „Weihnachten ist so übertrieben und warum läuft schon wieder Last Christmas“. Meine gute Laune verflog jedoch nicht während unserer Backerei und auch Jacob schloss sich schließlich mit einem Lächeln an. Er verzierte fröhlich ausgestochene Tannen und Geschenke, brachte uns dann in der Pause eine leckere Kürbissuppe und wir entspannten auf dem Sofa.
Am Nachmittag, nachdem unsere Plätzchen fertig waren, kam uns die Idee, die Plätzchen der Schüler zu betrachten. Diese backten wie jeden Tag in der Mensa und präsentierten sie in der Aula. Die Professoren gaben ihnen manchmal ein kleines Taschengeld für ihre Mühe, selbst wenn die Plätzchen nicht sonderlich gelungen waren, doch sie sollten sich nicht darum streiten, wer gar kein Geld und wer besonders viel bekommen hatte. Aus verlässlichen Quellen wusste ich zwar, dass Jacob nie Geld verteilte und sich eigentlich nicht darum scherrte, wer seinen Snack gebacken hatte, doch ich steckte zur Sicherheit ein bisschen Kleingeld ein.
Wir schlenderten durch die Flure, in unsere Mäntel gepackt, da es heute eisig war. Immer wieder rannten Schüler an uns vorbei, meist Eismagier, die den magischen Glanz des Winters verteilten und Jacob rief ihnen hinterher, dass sie nicht rennen sollten. Die meisten passierten uns auch aus Respekt (oder eher gesagt Angst) vor Jacob nur mit zügigen Schritten, doch einige vergaßen in der ganzen fröhlichen Stimmung, dass er besonders streng war. Heute hielt er sich jedoch zurück, da er einen Arm um mich gelegt hatte, was ein permanenter Zaunpfahl dafür war, dass er seine Magie nicht einsetzen konnte. Ich wollte zwar nicht, dass er sie je an den Schülern ausließ, doch ich konnte nicht verhindern, was er tat, wenn er nicht neben mir stand.
Durchgefroren erreichten wir die Aula, in der ich sogar Isabella entdecken konnte. Jacob hatte seine Cousine noch nicht gesehen, denn bei ihrem Anblick schlug seine Stimmung stets um. Gelassen traten wir durch die Schüler, die wohl alle hier eingetroffen waren. Es fehlten nur wenige, darunter die Eismagier und verschlossene Schüler wie Selene. Ich hatte gehört, dass sie alles was sie berührte einfror und deshalb nie andere Menschen berührte und es noch nicht ausprobiert hatte. Es war also nicht unwahrscheinlich, dass sie in dieser Menge alle umbringen würde, nur weil sie nach einem Getränk griff.
Wir schoben uns durch die Schüler, was meist einfach war, da sie Jacob schon von Weitem sahen. Es beunruhigte mich meist, was für eine Wirkung der junge Mann auf alle anderen hatte, doch wir hatten schon so oft darüber geredet und es gab nichts, was er mir nicht dazu sagen würde, dass ich mir auch keine Sorgen machte. Ich deutete auf einen der Stände mit Lebkuchen und so reiten wir uns in die kleine wuselige Schlange, die sich davor aufgestellt hatte. Der warme Duft der Plätzchen nahm die gesamte Aula so sehr ein, dass ich sogleich hungrig wurde und mir kaum etwas anderes wünschte, als alle zu kosten. Von den Lebkuchen wählten wir einige Herzen und trotteten dann zu einem Stand mit Getränken. Für die Schüler gab es allerlei alkoholfreies, für uns Professoren auch ein paar Getränke die weihnachtlich, aber auch alkoholisch rochen. Mit einem solchen Getränk liefen wir weiter, nickten einigen Kollegen zu, und wanderten so langsam jeden Stand ab. Ab und an hinterließ ich auch ein paar Münzen in den Trinkgeldbehältern.
Am Ende der vielen kleinen Stände stand ein Schüler mit Kamera, der anbot, uns zu fotografieren. Jacob, der mit der Miene eines aggressiven Löwen herumlief, reichte dem Schüler die wenigen Münzen und so stellten wir uns vor die kleine Leinwand mit dem winterlichen Dekor. Liebevoll legte ich meine Arme um den Hals des jungen Mannes, der mich wiederum an der Taille hielt, und bemühte mich damit, ihn irgendwie zum Lachen zu bringen. Nach den fünf kurzen Blitzen hoffte ich, dass es tatsächlich ein Bild gab, dass einem nicht das Gefühl geben würde, dass er jemanden umbringen wollte, doch ich machte mir nicht allzu große Hoffnung. Ich kannte ihn dafür zu gut.
„Lass uns noch in die Mensa gehen“, schlug Jacob nach dem Fotografieren vor und deutete auf den Flur dorthin. „Ich muss noch etwas fürs Kochen morgen holen.“
Er hatte mir nämlich versprochen, dass er mir ein weihnachtliches Adventsmahl errichten würde. Ich nickte also, hakte mich bei ihm unter und so liefen wir zur Mensa. In der Mensa selbst waren weniger Schüler als in der Aula, doch eine ganze Menge war noch vertreten. Einige von den Ständen holten neue Keksbleche, die anderen waren meist jene, die ich zuvor nicht hatte entdecken können. Die Mensa war jedoch deshalb voll, weil überall das Personal wuselte. Auch hier roch es stark nach Weihnachten, doch die süßen Plätzchen gingen hier unter, da das Abendessen bereits hergerichtet wurde. Neugierig, was es wohl hier geben würde, trat ich an den Tresen und ließ den Blick über Bratkartoffeln, diverse Soßen, Brokkoli, Blumenkohl, Karotten und weiteres Gemüse gleiten, bis mir eine Idee kam.
„Könnt ihr mir ein Plätzchenrezept empfehlen?“, fragte ich in die Runde der Angestellten, die sofort zu plappern begannen und untereinander diskutierten, ob nun Spekulatius die bessere Wahl wäre, oder Zimtsterne. Jacob verabschiedete sich leise und entzog sich der Diskussion um die Kekse, während ich aufmerksam lauschte und mir gedanklich Notizen machte, welche ich wohl ausprobieren wollte.
Es verging eine halbe Ewigkeit, bis sich die Köche einigten und mir die Rezepte für Spekulatius und Zimtsterne gaben. Mit den beiden Papierrollen in den Händen machte ich mich auf, um in der Küche nach Jacob zu suchen, da ich ihn dorthin hatte flüchten sehen. Ich brauchte eine Weile, um durch die verschiedenen Abteilungen zu laufen und die zu finden, in der Jacob stand, denn wenn ich hier nach Lebensmitteln fragte, führte mich das Personal hin und wieder zurück. Ich wollte mich gerade meinem Freund anschließen, als mir klar wurde, dass dieser sich mit dem Chefkoch stritt.
„Meine Jungs sagten mir, du würdest meinen Küchenbrenner benötigen. Du weißt genau, was ich davon halte, Jac.“
Der junge Professor schien bereits ungeduldig zu sein und so wie er die anderen Köche anfunkelte, hatte er sich wohl zuvor mit ihnen gestritten.
„Ich brauche ihn nur, um ein Dessert zu flambieren“, erklärte sich Jacob mit zusammengebissenen Zähnen, während der Koch ihn misstrauisch taxierte.
„Ich erinnere nur daran, was du damit gemacht hast, als du ihn dir das letzte Mal geborgen hast!“, entfuhr es dem Koch schließlich, der einen Schritt näher auf den jungen Mann zutrat. Seine Hand hatte er gehoben, verdeutlichte mit Gestiken, wie schwerwiegend ihm das damalige Erlebnis vorkam.
„Damals war ich erst neun Jahre alt!“, erwiderte Jacob empört, konnte sich jedoch nicht weiter äußern, da der Chefkoch das Wort übernahm.
„Genau! Neun Jahre alt! Hast für deine Eltern darum gebeten, dann die halbe Gesellschaft hier mit deiner schwarzen Magie aufgeschlitzt und dann den Brenner genommen, um Isabellas Haare anzuzünden! So ein Fiasko hatte ich lange nicht in meiner Küche und es vergeht kein Tag mehr, seitdem ich nicht versuche, ein weiteres Fiasko zu vermeiden! Also fordere mich nicht heraus, junger Mann!“
„Ich will doch nur DESSERTS FLAMBIEREN“, erhob nun Jacob seine Stimme dem Koch gegenüber. „Glaubst du wirklich, dass ich Isabellas Haare ERNEUT anzünden würde? Der Gestank hängt mir immer noch in der Erinnerung, genauso wie das Geschrei! Und weißt du überhaupt, wie viele Tage ich mich ausruhen musste, um mich nicht an einem Kissen aufzuschneiden?! Meine Magie ist auch für mich gefährlich!“
Die beiden Männer standen nun Brust an Brust, wobei der Koch zwar kleiner war, jedoch bedrohlicher wirkte. Die Szene war zwar ganz lustig gewesen und das Jacob seiner Cousine die Haare verbrennen wollte, hatte ich auch nicht für unwahrscheinlich gehalten, doch ich wollte ihn aus der Situation holen, bevor wirklich noch Blut floss. Was auch immer damals passiert war, Isabella freute sich bestimmt, wenn es sich nicht wiederholte.
„Jacob? Ich habe zwei neue Rezepte für Plätzchen bekommen!“, rief ich also fröhlich und trat in das Sichtfeld meines Freundes und der Köche. Jacob entspannte sich sichtlich bei meinem Anblick und rückte von dem alten Herren ab, der die Kelle neben sich beäugte, und trat dann gelassen auf mich zu. Zwar warf er noch einen letzten giftigen Blick hinter sich, legte jedoch liebevoll den Arm um mich und führte mich aus dem Labyrinth, dass sich Küche nannte.
„Was backen wir als nächstes?“
„Zimtsterne und Spekulatius.“
„Uff“, grummelte er und lief mit mir zügigen Schrittes durch die volle Aula, zu den Fluren, die zu den Treppen führte, die zu den Wohnungen der Professoren führten.
„Hast du alles bekommen?“, fragte ich unschuldig und sah ihn von der Seite sanft an. Er zog einen Küchenbrenner aus der Jackentasche und präsentierte ihn stolz.
„Aber sicher doch! Warum würde man dem Nachfahren des Gründers dieser Schule irgendetwas verweigern wollen?“
Sichtlich stolz auf sich, grinste Jacob mich strahlend an und schob den Brenner wieder in seine Tasche zurück. Überrascht blickte ich wieder auf den Weg vor uns, äußerte mich jedoch nicht weiter. Mal sehen, wann der erste Koch vor unserer Tür stand.
Liebes Tagebuch,
Ich habe diesen Tag überstanden. Ich habe Teig angerührt, habe ihn geknetet, ausgerollt, Formen ausgestochen, die Plätzchen gebacken und verziert. Sie sind sogar ganz lecker geworden, leckerer als das, was die hyperaktiven Schüler ausgekotzt haben. Ich wie, dass Kaya ihnen für die Mühe Geld gegeben hat, hätte ich anders gemacht. Die Schüler sollten kein Geld für angebrannte oder miserable Kekse bekommen. Unsere Bilder sollten wir morgen vor der Wohnungstür finden, ist morgen nicht sogar Nikolaus? Vielleicht sollte ich einen Stiefel rausstellen, dann tut George die Bilder dort rein. Habe ich geeignete Stiefel dafür?
Der Film war… in Ordnung. Ich weiß nicht, wie er heißt, er war nur sehr kitschig und von Netflix, aber Kaya hat sich gefreut und immer gelacht, also konnte ich nicht anders, als mich nicht zu amüsieren. Es war auch ganz schön, nach all dem Stress in der Mensa auf dem Sofa zu liegen, während der Kamin knistert, und einen Film zu gucken, während ich meine Kaya in den Armen halte.
Das in der Mensa war übrigens total unnötig, denn ich habe den Küchenbrenner so oder so mitbekommen. Es mag ja sein, dass ich Isabella wirklich die Haare angezündet habe und ja, die sahen damals dann echt widerlich aus, doch das ist so lange her und nun sind sie wieder wunderbar rot! Außerdem soll sie sich nicht beschweren, schließlich hat sie die Schule bekommen und ich nicht.
Aber zurück zum wesentlichen, denn morgen ist der große Tag. Morgen werde ich Kaya fragen, ob sie mich heiraten will. Dann bin ich auch nicht mehr gestresst wegen der Mensa und außerdem kann ich entspannt die Desserts anzünden. Warum würde man mir nicht vertrauen, wenn ich einen Küchenbrenner in der Hand halte? Unglaublich, ich weiß genau was ich tu, sowohl in der Küche als auch mit meiner Magie.
Aber ich schwöre, wenn ich noch einmal „Last Christmas“ oder Mariah Carey höre…
Liebe Grüße,
Jacob.
Heute habe ich länger geschlafen, denn heute muss ich nirgendwo hin. Wir haben den ganzen Tag gestern gebacken und am Abend diesen süßen Film geguckt, dass ich sofort eingeschlafen bin in unserer kleinen Schlafhöhle. Jacob bereitet unser Essen vor, zumindest hat er angefangen, Gemüse zu schneiden. Der gestrige Tag war jedoch auch stressig gewesen, weil Jacob in diesen unerklärlichen Streit geraten war. Na ja, so unerklärlich war er nun auch nicht gewesen, dennoch waren wir nun einen Küchenbrenner reicher. Doch war Jacob als Familienangehöriger der Schulleitung und Schulgründer nicht so oder so reich? Nah.
Ich hatte mich in eine weiche Decke gekuschelt und blättere nun durch einen Roman, während Jacob nebenbei weiter schnippelte. Die Weihnachtsmusik klang nicht nebenher, da er sonst eben dieses Messer in seine teure Stereo gerammt hätte. Irgendwann wurde mir langweilig, also legte ich das Buch weg und lief durch die Wohnung zum Bücherregal in seiner kleinen Nische, wo er seine Arbeiten erledigte. Einige meiner Bücher hatte er auch hier deponiert, denn es war ihm egal, wer in der Nische ein und aus ging, es sei denn, er korrigierte Klausuren, denn dann wollte er in seinem Sadismus alleine gelassen werden und sich böswillig über die Fehler seiner Schüler freuen. Nun glitt meine Hand über die Buchrücken, bis ich ein kleineres entdeckte, welches nicht beschriftet war. Neugierig schlug ich es auf und schlug es nach einem Satz sogleich wieder zu. Nervös lächelnd schob ich Jacobs Tagebuch in den Schrank und wollte nicht über das „Kaya fragen, ob sie mich heiraten will“ nachdenken. Peinlich berührt wählte ich eines der Bücher, dass ich bereits gut kannte, ließ mich auf dem Sofa nieder und vergrub mein rotes Gesicht in diesem, damit Jacob keinen Blick darauf erhaschte.
Ich hasste gerade so sehr, dass ich nur diesen Satz gelesen hatte. Ich wollte sein Tagebuch nicht lesen und deshalb hatte ich es sogleich zurückgelegt, doch warum hatte ich nicht irgendetwas anderes lesen können? Irgendetwas? Vorsichtig blickte ich zu meinem Freund, der fröhlich Zwiebeln in eine Pfanne warf und nicht ahnte, dass ich von seinen Plänen wusste. In meinem kleinen Versteck, dass sich „Sofa“ nannte, vergrub ich mich in das Buch und versuchte, nicht daran zu denken.
Denn mal ehrlich, wenn er mich fragen würde, würde ich nichts sagen. Er schien eine sehr gute Laune zu haben und so wollte ich ihm die Überraschung nicht kaputt machen. Das wäre ihm gegenüber nicht fair. So hatte ich schließlich auch etwas, worauf ich mich freuen konnte. Es war mir auch egal, wo er mich fragte. Denn ich würde ganz bestimmt nicht nein sagen.
Aber vielleicht würden Mariah Carey und Wham! noch ein wenig mehr Stimmung verbreiten…