[
Out - Ist zeitlich etwas hinter dem Clan-Geschehen.]
Die kleine Kätzin hatte in dieser Nacht einen tiefen und erholsamen Schlaf genossen. Ihre Träume hatten sie liebevoll begleitet, als wären es nicht ihre Träume, sondern ihre Mutter, die ihr sanft die Geschichte, die sie während des Schlafens erlebte, ins Ohr flüsterte. So zart, wie die Stimme ihrer Mutter es oft war, und so weich, wie es sich oftmals anfühlte, wenn sich das Fell der Kriegerin an ihres schmiegte.
So hätte Wellenjunges auf ewig schlafen können. Fernab von den Geräuschen des Nests und seinen Zweibeinern. Dort war es unheimlich still geworden in der Nacht, bis auf das gelegentliche Knarren über ihr, oder wenn die Zweibeiner doch noch einmal durchs Nest wanderten. Das Licht dort war nachts grell und schmerzhaft gewesen. Das Kätzchen erinnerte sich an das scharfe Stechen, wenn das Licht mitten in der Nacht erschienen war. Sie hatte schon früh verstanden, dass Zweibeiner es kontrollierten - etwas, das sie schon bald wieder vergessen würde.
Der Wald war auch still, aber nicht unangenehm. Das Licht war nie so scharf, die Geräusche waren nicht so unangenehm wie im Nest. Hier wurden sie vom Wind erzeugt. Sanft strich dieser an den Blättern der Bäume vorbei, säuselte ihr eine gute Nacht ins Ohr. Hier und da keckerten andere Tiere, doch Wellenjunges gewöhnte sich, geschützt in dem Fell von
Zilpzalpruf, schon bald an diese Geräusche.
An diesem Morgen wurden die beiden Jungen ganz sanft von ihrer Mutter geweckt. Wellenjunges protestierte für einen halben Herzschlag, dann seufzte sie wohlig und lehnte sich in die Berührung der Kriegerin. Sie würde noch viele gute Schläfchen halten, da war sie sich sicher.
Zilpzalpruf ließ ihnen auch jetzt noch Zeit zur Ruhe, also sank ihr kleiner Kopf wieder neben
Regenjunges nieder. Ihre Mutter war bestimmt aufgeregt, bald wieder beim FlussClan zu sein. Übel konnte Wellenjunges ihr das nicht nehmen, denn sie selbst war ebenso aufgeregt, konnte es kaum erwarten, den Rest des Weges durch den Wald zu gehen, den Fluss zum ersten Mal zu sehen und sich dem Clan anzuschließen.
Dem Clan. Dem
FlussClan. Dem Clan ihrer Mutter und ihres Vaters, dem Clan, von dem sie seit ihrer Geburt bereits so viel gehört hatte.
Würde der Anführer sie prüfen? Hoffentlich nicht, indem er fragte, wie er denn hieß, denn es wollte dem Jungen nicht einfallen. Viel eher hoffte Wellenjunges, dass er ihr Fragen nach dem Gesetz der Krieger stellen würde. Sie hatte versucht, alles darüber zu lernen, und war sich ganz sicher, dass sie Fragen zum Gesetz problemlos beantworten könnte. Sie musste lediglich an die Geschichten denken, die ihre Mutter ihr erzählt hatte.
Die Geschichten ihrer Mutter waren ihre beste Stütze.
Nein.
Ihre
Mutter war ihre beste Stütze. Sie war die beste Mutter, die sich ein Junges nur vorstellen konnte.
Hoffentlich würde ihr Wiedersehen mit alten Freunden gut verlaufen.
Dennoch konnte Wellenjunges nicht ignorieren, dass ihr etwas in der Brust saß. Ein befremdliches Gefühl, eines, das sie so noch nie verspürt hatte.
Es verärgerte sie. Es saß dort, in ihrer Brust, wie ein kleiner Knoten, den sie nicht loswerden konnte. Es erinnerte sie ein wenig an Angst, doch Wellenjunges würde nie zugeben, dass sie Angst hatte.
Wovor denn auch? Es war alles gut. Sie war hier mit
Regenjunges,
Zilpzalpruf war auf der Jagd, und schon bald würden sie ihren Vater kennenlernen.
Genau.
Wellenjunges öffnete ihre Augen ganz langsam und setzte sich auf. Sie würde ihren Vater kennenlernen, und dafür wollte sie sich vorbereiten. Deshalb glitt ihre Zunge schon wenig später durch ihren Pelz, dann reckte sie das Kinn und übte, wie man seine Brust vor Stolz gut anschwellen ließ. Sie wollte präsentabel sein, wollte, dass ihr Vater sie an blickte und gleich erkannte, wie viel Potential in ihr steckte.
Bevor Wellenjunges
Regenjunges von dieser Idee erzählen konnte, ertönte jedoch ein Schrei. Panisch ließ das Junge seine Albernheiten fallen und sah sich mit großen Augen um.
»
Hast du das gehört?«, fragte sie aufgewühlt. Was war das gewesen? War jemand angegriffen worden? Hatte der Schrei nicht ein bisschen nach Mama geklungen?
War
Zilpzalpruf in Gefahr?
Ein Rascheln erweckte ihre Aufmerksamkeit. Da war sie, ihre Mutter. Sie hielt einen Vogel zwischen den Zähnen und kam auf sie zu, doch etwas an ihrem Gang war anders. Sie verhielt sich komisch.
Als
Zilpzalpruf zusammenbrach, entfloh Wellenjunges ein Schrei, und sie warf sich ihrer Mutter entgegen, bis sie ihre Pfoten an die Schnauze der größeren legen konnte.
»
Mama! Mama! Wach auf, Mama!«, rief das silberne Junge panisch, nicht wissend, was sie nun tun sollten. Sie hatte noch nie gesehen, wie jemand zusammenfiel wie ein Laubhaufen, hatte sich noch nie so um jemanden kümmern müssen.
Sie wusste nicht, wie sie handeln musste. Sie wusste nur, dass ihr Herz ganz schnell schlug, dass sie kaum Luft bekam und dass ihre Mutter sich nicht rührte.
»
Mama!«, versuchte Wellenjunges erneut. Ein Blick zu
Regenjunges, der nicht weniger panisch war, dann war ihre Aufmerksamkeit wieder bei
Zilpzalpruf.
Als sich ihre Mutter regte, machte Wellenjunges einen Schritt zurück, um sie besser ansehen zu können. Ihre Augen waren voller Tränen, wusste sie doch nicht, was geschah. Doch ihre Mutter klang anders, sprach anders, und als Blut aus ihrem Mund lief, sträubte sich Wellenjunges’ Pelz.
Der Knoten in ihrer Brust pochte, dann verschwand er. Als hätten sich ihre Ängste bewahrheitet.
Wellenjunges sagte nichts. Zitternd, mit riesigen, runden Augen, kauerte sie vor ihrer Mutter und hörte einfach nur zu. Sie verstand grob die Nachricht, wünschte sich jedoch, dass sie die Worte so nicht hören musste. Ihre Mutter würde doch mitkommen, warum erzählte sie ihr nun all das? Warum mussten
Regenjunges und sie das wissen, wenn
Zilpzalpruf doch alles unter Kontrolle hatte?
Als ihre Mutter betonte, dass sie Geschwister waren, wollte Wellenjunges beruhigend nicken und ihr versichern, dass sie so etwas nie vergessen würde. Doch sie konnte es nicht und, wenn sie ehrlich war, wusste sie auch nicht, warum sie nicken sollte. Ihr Körper bat sie darum, doch das brauchte sie doch nicht! Ihre Mutter würde sehen, wie gut sie als Familie zusammen hielten.
Es kostete ihre Mutter alles an Kraft, überhaupt mit ihnen zu sprechen. Das wusste Wellenjunges mit Sicherheit. Doch die Kraft schwand, und als der Name ihres Vaters gesprochen werden sollte, verstummte
Zilpzalpruf plötzlich. Nein. Sie verstummte nicht nur. Sie erstarrte.
Genauso reglos wie ihre Mutter saß Wellenjunges erstmal dort und starrte die Kätzin an. Ihre Augen waren halb geöffnet, doch das, was einst geleuchtet hatte, war trüb geworden. Der gebrochene Kiefer ihrer Mutter hing falsch, wie so oft, doch ihre Schnauze hing noch seltsamer offen als gewohnt. Blut klebte an ihren Lefzen und an ihren Zähnen.
»
Mama?«, piepste Wellenjunges endlich. Ganz langsam löste sie sich aus ihrer Starre, schob sich vor und drückte ihre Schnauze gegen das Gesicht ihrer Mutter. Dieses rührte sich nicht und sie bekam keine Antwort, die sie beruhigen würde.
»
Mama, bist du wach?«, fragte sie vorsichtig und stieß etwas bestimmter gegen ihre Mutter. Ihr Körper bewegte sich nicht wie sonst. Ihre Mutter blieb still.
Da war noch etwas. Etwas, das die Kätzin zuvor noch nicht wahrgenommen hatte. Unruhig schob sie sich an dem Kopf von
Zilpzalpruf vorbei, bis sie sich an den Bauch ihrer Mutter schmiegen konnte. Hier war sie noch warm. Hier war Wellenjunges noch sicher.
Doch…
Wellenjunges vergrub ihre Schnauze im Fell der Kätzin. Augenblicklich stellte sich ihr Nackenfell auf.
Zilpzalpruf roch noch immer nach
Zilpzalpruf, doch… da war noch ein fremder Geruch. Einen, den Wellenjunges nur von Beute gekannt hatte.
Es brauchte keine Worte, damit Wellenjunges verstand, dass sie ihre Mutter nie wieder lächeln sehen würde. Dass die Stimme ihrer Mutter nicht ertönen würde, egal wie sehr sie darum bat.
»
Regenjunges?«, fragte Wellenjunges weinerlich, hoffend, dass ihr Bruder sich schon bald an sie schmiegen würde. »
Sie… sie…«
…Sie ist fort.Das hatte Wellenjunges sagen wollen, doch sie brachte kein Wort zustande.
Stattdessen sackte sie neben ihrer Mutter zusammen, wimmernd und flehend. Sie war noch nicht bereit, alleine zu sein. Sie brauchte ihre Mutter doch!
Der Traum von letzter Nacht, dass sie schon bald eine vollständige Familie sein würden, war noch ferner als nur wenige Momente. War die Sonne nicht gerade erst aufgegangen?
Wellenjunges hat die beste Nacht ihres Lebens hinter sich und wird langsam wach. Ihr schöner Morgen wird jedoch schnell grauenvoll, denn Zilpzalpruf stirbt vor ihren Augen und mit dem Konzept muss sie erst einmal fertig werden.