Farnsee hätte am liebsten noch mehr über ihre Familie und sich erzählt. Enzianpfote sollte erfahren, wer seine Familie war, doch ihr fiel kein eleganter Weg ein, um über ihre Vergangenheit zu sprechen, ohne zu nah an die Enthüllung ihres Geheimnisses zu kommen. Ob sie über Holunderfell sprechen sollte? Zwanghaft überlegte die Kriegerin, ob ihr eine Erzählung einfiel, die auch mit der Ziehmutter ihres Sohnes zutun hatte, damit sie ihm mehr über alles erzählen könnte, doch ihr fiel nichts ein.
Insbesondere weil der Heilerschüler ihre Gedanken ablenkte, als er Flammenpfote erwähnte. Überrascht spitzte die Königin die Ohren, als er verkündete, dass er bei seinem ersten Heilertreffen mit ihrem verstorbenen Neffen gesprochen hatte. Blinzelnd versuchte sie sich vorzustellen, wie es ihm dort erging, während Rosenträne in der Kinderstube litt. Bestimmt beschützte er in diesem Moment die Jungen seiner Schwester. Neugierig huschte Farnsees Blick über das Gesicht ihres Sohnes, doch dieser sagte nichts weiter zu seinem Traum. Stattdessen wurde er nachdenklich.
Da ihr nicht einfiel, was sie sagen sollte, schnurrte Farnsee lediglich zustimmend. Auch die gemusterte Königin hatte ein gutes Gefühl, dabei, wenn sie daran dachte, dass all ihre verlorenen Gefährten im SternenClan auf sie acht gaben. Einst hatte sie Wut darüber empfunden, selbstverständlich schmerzte Verlust noch immer, doch nach jedem Verlust kam sie zurück zu der Erkenntnis, dass es nicht für immer sein würde.
Toxinstern würde nicht für immer fort sein. Sie würde ihren Freund wiedersehen. Schweigend ließ die Kätzin diese Erkenntnis sacken, dann blickte auch sie fort. Natürlich war sie nun nicht geheilt, doch Farnsee spürte, dass etwas in ihrem Inneren sich beruhigt hatte. Vielleicht würde es besser werden. Kurz blickte sie zu Farbenjäger, fast wie ein Versuch, mit ihren Gefühlen umzugehen. Obwohl noch immer eine Distanz in ihrer Brust tobte, fühlte sich sein Anblick etwas hoffnungsvoller an.

Wenig später folgte Farnsee Enzianpfote zittrig zum Heilerbau. Ihr war nicht kalt, sie war nur lange nicht mehr wirklich herumgelaufen und unterwegs gewesen. Diese Erschöpfung rührte also von körperlicher Anstrengung und kurz war sie unglücklich darüber, wie ihr Körper sich verhielt. Es war eine Schwierigkeit, die sie überwinden müsste, doch sie war zuversichtlich, dass sie das schaffen würde.
Hinter ihrem Sohn betrat Farnsee die Heilerlichtung und sah sich mit trüben Augen um. Engelsflügel kauerte neben Dämmersang, deren Augen komisch verschmiert waren, und sah so aus, als würde sie weg dösen. Vorsichtig hob die Königin die Schwanzspitze, um der Ältesten zu winken, doch sie hatte das Gefühl, als würde deren Blick durch sie hindurch gehen, weshalb sie schnell woanders hinsah. Silberbiss und Buntpfote fielen ihr auf, genauso Honigstern. Der schwarze Kater schien aufgebracht, während er dort mit der Anführerin sprach. Immer wieder sah sie zu dem Kater, den sie quasi mit-erzogen hatte, und fühlte sich schrecklich. Sie hatte ihn nicht einmal besucht, seitdem der Unfall geschehen war. Sie hatte jeden vernachlässigt.
»Danke«, miaute Farnsee überrascht, als Enzianpfote ihr plötzlich ein Blatt voller Kräuter brachte. Sie war so sehr mit den Katzen im Bau beschäftigt gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie er gegangen war. Unruhig schlug ihr Herz, während sie ihn anblickte. Sie schlief nicht gut, aber dafür viel. Vielleicht würden ihr die Kräuter damit helfen, wieder einen guten Ablauf ins Leben zu kriegen.
»Ruh' dich aus, ich spreche mit Honigstern, in der Kinderstube werde ich auf Rosenträne aufpassen.«
Warm blinzelte die Königin, dann hielt sie inne und warf ihm einen weiteren dankbaren Blick zu. Der Heilerschüler würde nie verstehen, wie sehr er ihr mit diesem kurzen Gespräch geholfen hatte.

Langsam packte Farnsee ihre Kräuter, trat zur Seite und legte das Blatt in der Nähe ihrer Anführerin ab. Mit schnell schlagendem Herz starrte sie diese an, betrachtete die große, eindrucksvolle Kätzin, die ihr sofort das Gefühl gab, vor einer wichtigen Katze zu stehen. Die neun Leben hatte sie wirklich erhalten, es war alles kein Traum. Für die Königin war es an der Zeit, sich all dem zu stellen, auch wenn sie spürte, wie ihre Kehle sich zuschnürte. Ablenkend beobachtete sie deshalb, wie Silberbiss sich in seinem Nest wandte. Der junge Kater sah wütend und schmerzerfüllt aus, sodass es ihr das Herz brach.
Als sich ihre Blicke trafen, blinzelte sie ihm liebevoll zu, glaubte jedoch nicht, dass es einen Unterschied machte. Insbesondere da er nach seinem Gespräch mit der Anführerin gequält die Augen schloss. Ein Gefühl von Déjà-vu erfüllte sie.
So geduldig, wie sie sein konnte, wartete Farnsee auf Honigsterns Aufmerksamkeit. Sie wollte nicht zu viel von deren Zeit einnehmen, wollte ihre Anführerin nicht behindern, doch andererseits waren sie vor einigen Monden noch Freunde gewesen. Als die Kätzin sich ihr nach einer Weile zuwandte, senkte Farnsee erst den Kopf und blinzelte traurig zu Boden.
»Honigstern«, hob Farnsee an und bemerkte intensiv, wie krächzend ihre Stimme war. Sie musste furchtbar aussehen. Beschämt legte sie ihre Ohren an. »Ich möchte... soll... werde dir berichten, was in der Kinderstube geschehen ist...«
Der Herzschlag der Königin ging stark und schmerzhaft in ihrer Brust.
»Rosenträne hat nicht gerade die einfachste Geburt hinter sich... zwei ihrer Jungen sind gestorben und ihr fehlt es an Kraft... Enzianpfote hat sie und ein Junges retten können...«
Angespannt erwartete sie die Antwort ihrer Anführerin und atmete zitternd durch. Sprechen war unglaublich anstrengend geworden, dennoch war sie etwas stolz auf sich selbst. Sie hatte es geschafft, das zu tun, was sie für Enzianpfote hatte tun wollen. Hoffentlich erhielt er nun auch die Ruhe, die er brauchte und verdiente.

Farnsee stand nun etwas abseits von den Patienten, da Honigstern sie fortgeleitet hatte. Es störte sie nicht, dass sie sich etwas Ruhe gesucht hatten, doch es hätte sie auch nicht gestört, wenn die anderen Katzen auf der Lichtung die Nachrichten hörten. Die Nachricht würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten, schließlich blieben Geheimnisse im Clan nicht lange Geheimnisse. Es gab nur wenige, gut gehütete Dinge, und davon trug Farnsee mehrere in ihrer Brust.
Zwar wollte die Königin, dass Rosenträne fürs Erste nicht gestört wurde, doch es wäre sicherlich nichts schlechtes, wenn der Clan es wusste und sie unterstützte. Niemand wollte alleine mit diesen Dingen kämpfen und je länger Farnsee auf der Heilerlichtung stand, desto mehr juckte es in ihren Pfoten, ihrer Nichte zu helfen.
»Ich bin dankbar, dass die beiden es geschafft haben«, seufzte Farnsee erschöpft und hoffte, dass Buchenfrost sich in diesem Moment gut um die Königin kümmerte. »Auch wenn ich ihr gewünscht hätte, dass sie eine eigene, ungebrochene Familie bekommt... Wer weiß, was der SternenClan für sie plant...«
Vorsichtig lächelte die gemusterte Kätzin ihrer alten Freundin zu und betrachtete sie noch einmal eindringlich. Sie wirkte so viel gelassener als sie es je hätte sein können. Eine bessere Nachfolgerin hätte sich Farnsee nicht vorstellen können.
»Anführerin-sein steht dir«, miaute sie deshalb sachte und blinzelte freundlich. Es war an der Zeit für sie, sich diesen Dingen zu stellen. Der Clan würde Rosenträne helfen, also würde er auch sie wieder im Alltag empfangen.

Kopfschüttelnd verwarf sie die Gedanken, dann neigte Farnsee den Kopf respektvoll vor ihrer Anführerin.
»Ich werde nach Silberbiss sehen und dann in die Kinderstube zurückkehren, um mich um Rosenträne zu sehen. Es war schön, dich zu sehen...«
Kurz wartete Farnsee, bis Honigstern sie vollständig entlassen hatte, dann tappte sie mit langsam Schritten zu Silberbiss' Nest. Buntpfote war in der Zwischenzeit wohl verschwunden¹, sodass der schwarze Krieger alleine dalag. Er sah klein und mager aus, hatte offenbar viel Gewicht verloren. Seufzend legte sich Farnsee neben ihn und leckte ihm sanft über die Ohren.
»Ach, Silberbiss, unsere Familie hat es nie leicht gehabt...«
Der Kater mochte nicht blutsverwandt sein, doch da Rußfeder Kamillentau mit großgezogen hatte, waren die beiden immer ein Teil ihrer Familie gewesen. Sicherlich war es umgekehrt genauso. Warum traf es immer ihr Blut? Die Königin fing damit an, seine Ohren zu putzten, und betrachtete dabei die Beeren und Samen, die neben seiner Schnauze lagen.
»Ich glaube, die solltest du essen.... wenn du gesund werden willst...«
Vom vielen Reden war ihre Stimme nicht nur rau, sondern auch leiser geworden. Mit angelegten Ohren versuchte die Königin nicht zu sehr darüber nachzudenken, sondern sich sachte um den Kater zu kümmern. Wie lange es wohl dauern würde, bis er wieder auf allen vieren stehen und laufen würde?

¹ - Wurde mit Feuerflug abgesprochen.