Kronentanz erwachte zu Sonnenaufgang, als sich auch andere Krieger darauf vorbereiteten, dem Alltag nachzugehen. Einige Momente lag sie allerdings erschöpft da, streckte die Glieder aus und starrte zum dunklen Himmel. Es regnete noch immer. Wer die braune Kätzin kannte, wusste, dass sie mit Regen nichts anfangen konnte. Ein schweres Seufzen entwich ihr, während sie eine Weile lang einfach nur dem Klang des Wetters lauschte. Jeder einzelne Tropfen, der auf den Boden traf, erzeugte ein Geräusch, dass andere wohl als entspannend empfinden würden, doch Kronentanz konnte nur daran denken, wie viel schwerer ihre Aufgaben als Kriegerin verliefen, wenn es regnete.
Nach einer Weile schaffte sie es jedoch, sich aufzusetzen. Noch immer war sie etwas müde von der Totenwache, von dem Stress, den sie sich gemacht hatte, als Sturmstern in den Kampf gezogen war, und von der Angst, dass die Schlangen noch mehr Schaden anrichten würden. Zwar war all dies vorüber, doch Kronentanz' Körper konnte nicht einfach so tun, als wäre der Stress nie dagewesen. Sie würde also noch eine Weile brauchen.

Ob es dem Kater gut ging? Kronentanz erinnerte sich vage daran, dass eine Wunde an seinem Bein geblutet hatte. Einige Momente lang überlegte sie, ob der Anführer irgendwelche Narben hatte, doch sie glaubte, dass es seine erste werden könnte. So viel wie er für den Clan tat, war es ein Wunder, dass er von ihnen nicht übersäht war.
Andererseits war es der Kätzin lieber, wenn der Anführer unversehrt blieb. Der Stress, der durch seine Wunden in ihr ausgelöst wurde, war manchmal nicht auszuhalten. Ob sich andere Krieger auch so sehr um ihre Anführer sorgten, oder war sie anders, weil sie noch viel mehr für ihn empfand und sich nach ihm sehnte? Die Schnurrhaare der Kätzin zuckten belustigt. Selbstverständlich war nur sie es, die so dachte. Zumindest war ihr niemand im Clan bekannt, der so sehr an dem Kater hing, dass sie vor Sorge explodieren wollten.

Kronentanz verwarf diese Gedanken und putzte sich rasch den Pelz. Wenig später schob sich die Kätzin aus dem Kriegerbau, spürte, wie das lange Gras noch an ihren Flanken kitzelte, nur damit der Regen sie gleich wieder erwischte. Erneut seufzte sie, doch sie ließ den Blick dabei über den Lagerplatz gleiten, in dem Versuch, ihre Gefühle etwas zu verschleiern.
Sturmstern fiel ihr augenblicklich auf. Der getigerte Kater sah so prächtig und mächtig aus wie immer, wenn auch ein Hauch von Müdigkeit an ihm erkennbar war. Einige Momente lang blickte Kronentanz ihren Anführer an, konnte nicht anders, als sich zu wünschen, dass sie wieder in seinem Bau lagen und sich aneinander schmiegten.
Bildete sie sich das ein, oder kam er näher? Kronentanz hatte etwas zu viel gestarrt, sodass ihr erst viel zu spät bewusst wurde, dass er in ihre Richtung lief. Blickte er sie an? Hastig wandte sie den Blick ab, konnte nicht glauben, dass er sie beim Starren erwischt hatte.
Als seine Stimme sie erreichte, hob sie etwas verlegen den Blick. Er wollte tatsächlich zu ihr, und als Sturmstern erklärte, was er denn wollte, wäre Kronentanz beinahe aus ihrem Pelz gesprungen vor Überraschung. Er wollte sich mit ihr Beute teilen. Mit ihr.
»Sturmstern«, grüßte Kronentanz ihren Anführer respektvoll. Kurz neigte sie den Kopf vor ihm, darum bemüht, ihre Aufregung zu verbergen und sich wie immer zu benehmen. »Sehr gerne.«
Ihre Kehle war plötzlich so trocken, sie war nicht in der Lage, mehr Worte von sich zu geben. Stattdessen lächelte sie den Kater einfach nur an, in der Hoffnung, dass er übernehmen würde.

Neben Sturmstern über den Lagerplatz zu schreiten, ließ die Pfoten der Kriegerin vibrieren. Jeder weitere Schritt, den sie gemeinsam taten, führte dazu, dass ihr Pelz immer stärker kribbelte, und sich aufstellen wollte. Dieser Moment, wenn auch nur von kurzer Dauer, war aufregend. Die Präsenz des Anführers ging ihr nahe, doch da waren auch ihre Clan-Gefährten, die ihn für sie aufregend machten. Was dachten sie, wenn sie bemerkten, dass Sturmstern sich ihr erneut widmete. Er hätte nach ihrer Ausbildung einen Schritt zurück machen können, um sie aus seinem Leben zu verweisen, wie er es noch hatte tun wollen, nachdem Dunkelfeder ihn zu ihrem Mentoren gemacht hatte. Doch es hatte immer wieder Situationen gegeben, in denen er sie ausgesucht hatte.
Das ging nicht an Katzen vorbei, die jeden Tag aufeinander hockten, und die nichts besseres zu tun hatten, als im Lager alles zu beobachten, was es zu sehen gab.

Den Regen hatte Kronentanz beinahe vergessen, und erst als sie neben Sturmstern am Frischbeutehaufen angelangt war, wurde sie sich des Wetters wieder bewusst. Tropfen hingen ihr an den Schnurrhaaren, weshalb sie diese mit einem kurzen Kopfschütteln von sich schnippte. Ihr fehlte es noch immer an Worten, weshalb sie es dem Anführer vollkommen überließ, die Beute auszuwählen. Bildete sich die braune Kätzin all das nur ein, oder verhielt sich der Anführer anders als sonst? Sie wollte sagen, dass er vielleicht nervös war, doch Kronentanz verdrängte den Gedanken, wagte es nicht, solche Vermutungen aufzustellen. Das hier war Sturmstern. Von allen Katern im Lager war er der letzte, der auch nur in irgendeiner Situation Nervosität zeigte.
Aufgeregt schlug Kronentanz' Herz, als sie sich neben den getigerten Kater setzte. Sie befanden sich beim Anführerbau und das Lager erstreckte sich vor ihr in einem Winkel, den sie noch nie gesehen hatte. Bevor sie der Anweisung ihres Anführers nachgehen konnte, starrte sie einfach nur die Katzen auf dem Lagerplatz an, bewunderte ihren Clan aus dem Winkel, den sie so noch nie genießen durfte. Für einige wenige Herzschläge war sie neidisch auf Sturmstern, der auf diese Art dem morgendlichen Treiben des Clans zusehen durfte, doch der Gedanke schwand schnell. Sie wollte nicht an seiner Stelle sein müssen.

Vorsichtig knabberte Kronentanz einen ersten Bissen aus der Feldmaus, die der Tigerkater ausgewählt hatte. Unsicherheit umspülte ihr Herz, nachdem sie sich wieder, den Happen kauend, zurückzog. Was war die Norm, wenn man mit seinem Anführer Beute teilte? Wie viel davon stand ihr zu? Was wirkte zu gierig, was zu abweisend?
»Anstrengend trifft es gut«, seufzte die braune Kriegerin, nachdem sie den Happen geschluckt hatte. Sie fühlte sich zehn Monde älter, auch wenn der Clan unverändert geblieben war. Ihr gelber Blick fand einige Katzen, die so aussahen, wie sie es jeden Tag auch taten. Nichts hatte sich geändert, und doch war sie so müde.
Langsam drehte Kronentanz den Kopf und musterte das Gesicht ihres Anführers verstohlen von der Seite. Sie war ihm so nah, dass ihr der Atem beinahe stockte. Dabei war dies nicht das erste Mal, dass sie ihm so nah war, und auch solche Momente häuften sich. Kronentanz konnte seine Wärme spüren, auch wenn ihre Pelze sich nicht berührten, und gerne hätte sie ihm schnurrend das Fell gerichtet, ihm somit etwas von ihrer Wärme geschenkt.
»Sturmstern-«, begann die Kätzin, doch die Worte blieben ihr in der Kehle hängen. Nicht heute, wann anders. Sie wollte ihm näher sein, wollte ihm das auch sagen, doch sie konnte nicht. Durfte nicht. »Wie geht es dir?«
Die Frage war nicht mehr als ein Hauchen, und sie schämte sich beinahe dafür, eine solche Frage überhaupt zu wagen. Doch sie konnte ihre Sorge kaum verbergen und da sie glaubte, ihn ein bisschen zu kennen, hatte sie das Gefühl, dass er niemanden hatte, der ihm solche Fragen stellte.
Abgesehen von Milanschrei zumindest.