Wie lange er sich nun schon hin und her gewälzt hatte, wusste er nicht. Aber Fakt war, dass er nicht mehr schlafen konnte. Die Stunden dieser Nacht waren dahingezogen, wie die Monde seiner Schülerausbildung, die sich allmählich dem Ende neigte. Und obwohl die Zeit mit Geierschrei eine sehr lehrreiche und vor allem anstrengende war, hatte er das Gefühl, dass er noch immer ein kleines, unbedarftes Junges war, dass sich an den Bauch seiner Mutter kuscheln wollte. Gerade erst der Kinderstube entwachsen - das lag nun schon fast sechs Monde zurück; mit piepsiger Stimme - die sich mittlerweile fast verflüchtigt hatte und nun mehr an ein gebrochenes Brummen erinnerte; schlaksig, mit viel zu langen Beinen für den kleinen Körper - auch das hatte sich allmählich verwachsen. Lilienpfote war erwachsen geworden, das konnte er wohl nicht mehr länger verheimlichen. Erwachsener, älter, größer (auch wenn er wohl nie wirklich muskulös sein würde), und irgendwie auch...reifer? Wobei er sich absolut nicht so fühlte. Die Zweifel in dem jungen Kater waren groß und das Gefühl niemals genug sein zu können waren es auch. Dabei hatte ihn das Training mit seinem Mentor mehr als nur herausgefordert. Und wenn er nicht so unglaublich unsicher wäre, dann hätte er vielleicht auch wirklich etwas lernen können. Oder eben zumindest...mehr lernen können. Aber in seinen Augen war er in allen Aufgaben des alltäglichen Lebens bestenfalls mäßig begabt. Mickrig, wie Geierschrei es gern ausdrückte. Dabei redete sich Lilienpfote immer wieder ein, dass er nichts für die schlechte Laune und die fiese Brummerei des Kriegers konnte, den Sturmstern zu seinem Mentor ernannt hatte. Eine Entscheidung, die Lilienpfote bis heute nicht verstand. Und vor allem war das wohl so ziemlich die einzige Angelegenheit, in der sich Geierschrei und er wirklich einig waren.
Dabei gab sich Lilienpfote doch Mühe! Wann würde diese Mühe endlich genug sein? Musste er erst beweisen, dass er bereit war für den Clan zu sterben, wie es Amselflügel getan hatte? Musste er sich erst seine langen, sehnigen Beine brechen, damit er in Geierschreis Augen gut genug war?
Seufzend drehte sich der schwarze Kater erneut in seinem Nest um und war gerade dabei sich zu strecken, als die Stimme des brummigen Kriegers ihn schon aus dem Schlaf holte. Oder eben...aus einer Schockstarre, in die er kurzerhand mal verfallen war, als er darüber nachgedacht hatte, dass sich nicht nur die Sonne über das Moorland geschoben hatte, sondern auch sein Mentor mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich wieder um die Ecke kommen und ihn mit einer Laune begrüßen würde, als hätte ihm ein freches Junges über Nacht klebriges Baumharz ins Nackenfell geklebt. Furchtbar!
Mit Geierschreis Laune war es wie mit dem Wetter. Das konnte man genausowenig vorhersehen, wie die Laune des Kriegers.
Umso schneller sprang er aus dem Nest und wusch sich noch schnell das Fell an der Brust, um die letzten Moosreste daraus zu entfernen, wäre dabei noch fast auf den Schwanz seines Bruders getreten und stolperte mehr aus dem Schülerbau hinaus, als dass er wirklich würdevoll den Tag begann. Etwas, das Geierschrei sicher nicht entgangen war und ihm garantiert gleich die nächste Rüge einhandeln würde. Wie viele er davon in seiner Schülerzeit schon bekommen hatte? Der angehende Krieger hatte längst aufgehört zu zählen. Selbst wenn er versucht hätte, darüber den Überblick zu behalten und für jede Standpauke einen Kieselstein in eine Kuhle geworfen hätte, dann hätte er sicher mittlerweile einen Haufen, der so groß war, wie der Versammlungsfelsen! Also...zumindest kam es ihm so vor. Das einzige, was ihm das Ganze gebracht hatte, war wohl die Tatsache, dass er mittlerweile ziemlich agil und flink war in seinem Reaktionsvermögen und sich ein dickes Fell zugelegt hatte. Immerhin waren Geierschreis Pranken genauso schnell und spitz, wie seine Zunge. Und Lilienpfote hatte nicht nur einmal die Pfote des Kriegers über die Ohren gezogen bekommen. Manchmal fragte er sich sogar, ob Geierschrei manchmal darüber nachdachte, ihn heimlich den Wasserfall hinunterzuschubsen oder im Fluss zu ertränken? Zumindest würde er lügen, wenn er nicht ab und an selbst solche Gedanken hatte. Auch, wenn es immer mal wieder variierte, wer den Wasserfall herunter stolperte. Er...sein Mentor...manchmal stellte er sich auch vor, dass er Sturmstern dabei half, sich den Fluss etwas genauer anzusehen. Ein bisschen frisches Flusswasser, um den Kopf freizubekommen und getroffene Lebensentscheidungen zu hinterfragen? Hatte noch niemandem geschadet, oder?
Natürlich hatte er das nie laut ausgesprochen. Würde er sich so auch nicht trauen. Denn dann müsste er vermutlich nicht nur Geierschreis Pfoten an seinen Ohren fürchten, sondern die seiner Mutter vermutlich gleich mit. Dunkelfeder mochte zwar mittlerweile alt sein, aber das würde sie sicher nicht davon abhalten, ihrem Sohn einen Satz heiße Ohren zu verpassen! In diesen alten Knochen steckte noch Kraft!
Aber da ihn nichts vom Schicksal der Laune seines Mentors bewahren konnte, räusperte sich Lilienpfote einmal kräftig, schüttelte sein Fell, um die Feuchtigkeit des Regens loszuwerden und miaute dann gähnend ein: "Dir auch einen guten Morgen Geierschrei. Ich freue mich auch dich zu sehen. Da geht doch glatt die Sonne auf. Hah! Schau. Der SternenClan sieht das wohl ähnlich.", mit einem frechen und fast schon rebellischen Funkeln in den Augen, bevor er sich noch einmal kurz streckte und dann deutlich ernster fragte: "Also? Was steht heute an? Gehen wir jagen? Ich habe das Gefühl, dass die Blattfrische nicht mehr lange auf sich warten lässt. Vielleicht kommt die Beute langsam zurück.", nichtsahnend, dass ihm gleich alles andere als eine bequeme Jagd oder eine stupide Grenzkontrolle bevorstand, bei der man gemütlich wach werden konnte.